Die Redaktion von Realize Ruhrgebiet, der Blog von Recht auf Stadt Ruhr, zum neuen Dokumentarfilm.

Der Film »Das Gegenteil von Grau« – Eine Aufforderung zum Tanz

„Brachflächen, Leerstand, Anonymität, Stillstand – nicht alle zwischen Dortmund und Duisburg wollen sich damit abfinden. Im Gegenteil. Immer mehr Menschen entdecken Möglichkeiten und greifen in den städtischen Alltag ein. Ein Wohnzimmer mitten auf der Straße, Nachbarschaft, Gemeinschaftsgärten. Stadtteilläden, Repair Cafés und Mieter*inneninitiativen entstehen in den Nischen der Städte – unabhängig, selbstbestimmt und gemeinsam.“ Der „Klappentext“ zum Film »Das Gegenteil von Grau« hält was er verspricht. Über 20 Projekte, Initiativen und Aktivist*innen porträtiert der Film bei seiner Reise quer durch’s Ruhrgebiet. Dabei zeigt er nicht nur das was heute gerne mit dem Label „urbaner Aktivismus“ versehen wird, wie z.B. Gemeinschaftsgärten, sondern auch ganz handfeste Auseinandersetzungen, etwa um den Erhalt einer Wohnsiedlung in Duisburg oder für die Durchsetzung soziokultureller Zentren in Essen und Dortmund.

Die Beharrlichkeit und Respektlosigkeit vieler Akteure gegenüber den Institutionen beeindruckt. Die Selbstermächtigung die ihre Do-it-Yourself-Haltung ausdrückt und der Optimismus den sie – trotz mancher Niederlage – ausstrahlen wirken ansteckend. Der Film »Das Gegenteil von Grau« ist eine Aufforderung zum Tanz. Und darum geht es: Die depressive Stagnation des Ruhrgebiets und das Gerede von „Woanders ist auch Scheisse“ hinter sich zu lassen und gemeinsam eine Initiative zu ergreifen. Bei den Filmpremieren Ende März, die im Dortmunder Roxy und im Bochumer Kino Endstation jeweils ausverkauft waren, wurden Listen mit Kurzdarstellungen und den Kontaktdaten aller gezeigten Projekte verteilt. Auch bei den Screenings in Essen, Oberhausen und Duisburg war das Interesse groß.

Das Gegenteil von Grau ist nicht selbstverständlich bunt. Das Gegenteil von Grau gibt es eigentlich nicht. Jenseits des Optimismus blitzt zwischen den Bildern und Worten im Film noch eine andere Wirklichkeit auf. Die besondere stadträumliche Situation und das soziokulturelle Setting, in dem die gezeigten Projekte, Initiativen und Aktivist*innen verortet sind, werden nicht abgebildet: Die Provinzialität und Ödnis des Ruhrgebiets, die unendlichen Vorstädte, aus denen das Ruhrgebiet zum großen Teil besteht. Dazu ins Verhältnis gesetzt, ist der urbane Aktivismus im Ruhrgebiet eher marginal. Er findet auf kleinen Inseln in einem Meer der Langeweile statt. Die interessanten Orte im Ruhrgebiet sind rar und sehr verstreut. Ihre Verdichtung in der Dortmunder Nordstadt ist eher eine Ausnahme. Zwischen der »Velokitchen« in der Dortmunder Nordstadt und dem Stadtteilladen »Syntopia« in Duisburg Hochfeld liegen rund 50 Kilometer Luftlinie. Die Fahrt mit dem öffentlichen Nahverkehr von der Nordtstadt nach Hochfeld dauert fast eineinhalb Stunden. Man durchquert dabei einen Raum in dem rund 5 Millionen Menschen leben.

Dass diese Orte im Ruhrgebiet so selten sind, macht sie umso wertvoller. Menschen die im Ruhrgebiet leben wissen das. Der Film versetzt sie in Erstaunen darüber, was es doch so alles gibt. Die meisten Menschen begreifen das Ruhrgebiet auch nicht als eine große Stadt und bewegen sich, vom Pendeln zum Arbeitsplatz abgesehen, wenig über ihre Stadtgrenzen hinaus. Der katastrophale und überteuerte öffentliche Nahverkehr blockiert die Mobilität zusätzlich.

Aus einer Hamburger oder Berliner Perspektive betrachtet mögen Wohnprojekte oder Gemeinschaftsgärten ein alter Hut sein. Aber das Ruhrgebiet ist traditionell keine Region in der die Mensch mit ihrem Leben experimentiert haben. Hier wurde getan was die Sozialdemokraten, Gewerkschaften oder Großunternehmen von oben vorgaben, und das war in erster Linie arbeiten. Ein akademischer Mittelstand ist hier, trotz zahlreicher Hochschulen, immer noch unterrepräsentiert. Das Ruhrgebiet ist eher antiintellektuell.

Das ändert sich langsam und die Projekte, Initiativen und Aktivist*innen die im Film gezeigt werden tragen dazu bei. Das erkennen auch die Marketingexpert*innen des Regionalverbandes Ruhr. In der aktuellen Ausgabe ihres Werbemagazins »Metropole Ruhr«, mit dem Schwerpunkt „Junge Szene Ruhr“, wird unter anderem das Projekt »Refugees Kitchen« des Künstlerkollektivs »kitev« aus Oberhausen vorgestellt, das auch im Film porträtiert wird. Die Halluzination von urbanen „Kreativ Quartieren“, die mit der Kulturhauptstadt 2010 zum ersten mal ausgerufen wurde, setzt sich hier fort. »Refugees Kitchen« und »kitev« sind ohne Frage coole Projekte. Aber mit den Kreativwirtschaftsfantasien des neuen Ruhrgebietsmarketings haben sie wenig zu tun.

Dass es die Kreativen im Ruhrgebiet nach wie vor schwer haben, bringt in der Schlusszene des Films der Off-Kultur-Aktivist und Initiator des »Netzwerk-X« Joscha Hendricksen auf den Punkt. Ihr Engagement wird begrüßt und beklatscht aber echte Unterstützung durch die Institutionen ist – von wenigen Ausnahmen abgesehen – nicht zu erwarten. Joscha Hendricksen ist gerade auf dem Absprung nach Hamburg.

Und dennoch, so eine Vielzahl von neuen Initiativen, wie etwa in der Dortmunder Nordstadt, wäre vor vier oder fünf Jahren dort nicht denkbar gewesen. In Bochum gibt es die neue Initiative »Botopia«, die Leerstände für kulturelle und soziale Projekte öffnen will. Und in Duisburg ist es den Aktivist*innen des Stadtteiladens »Syntopia« gelungen, ihre Kampagne für ein soziokulturelles Zentrum wiederzubeleben. Neue Initiativen setzen sich in den Ritzen des Ruhrgebiets fest und fordern ihr Recht auf Stadt ein.

Das Gegenteil von Grau
Ein Dokumentarfilm von Matthias Coers und Recht auf Stadt – Ruhr
D 2017/90 min.
www.gegenteilgrau.de

Die nächste Aufführung im Ruhrgebiet: 08.05.2017, 19:00 Uhr, Kino Endstation, Bochum

Veröffentlicht am 30.3.2017 bei Realize Ruhrgebiet:
http://www.realize-ruhrgebiet.de/2017/03/30/der-film-das-gegenteil-von-grau-eine-aufforderung-zum-tanz/

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