Ein Beitrag zur Premierentour im Ruhrgebiet von Kristin Schwierz
Kollektives Filmschauen und Teil davon werden
Die Premieren-Tour von »Das Gegenteil von Grau«
„Ich kannte total viel gar nicht, was in dem Film gezeigt wird“ war wohl mit der häufigste Satz nach den Vorstellungen bei der Premieren-Tour von »Das Gegenteil von Grau«. Allein in diesem Satz zeigt sich die große Anerkennung, die das Filmteam schon jetzt eingespielt hat, denn genau darum geht es ja bei dem Film: Sichtbarkeit schaffen. Als vor zwei Jahren die Film-Idee bei einem Treffen von »Recht auf Stadt – Ruhr« aufkam, war klar, hier geht es darum eine positive Perspektive zu vermitteln, zu zeigen, was es im Ruhrgebiet an selbstorganisierten Projekten gibt, die aber vielfach unsichtbar bleiben. Für Leonie Herrmann von der Filmgruppe war die Arbeit an dem Film selbst eine Reise, bei der sie das Ruhrgebiet nochmal anders kennengelernt hat: „Wir fanden, dass es so viele Sachen gibt und dass es schade ist, dass das viele Leute nicht kennen.“ Das riesige Interesse bei der Premieren-Tour spricht für sich: Mehr als 500 Leute schauten sich innerhalb von fünf Tagen den Film an. Das Roxy-Kino in Dortmund mit 250 Plätzen war bei der ersten Vorstellung mehr als ausverkauft, im Endstation-Kino in Bochum wurden ad hoc noch zwei Termine festgemacht, um die vielen Besucher*innen, die nicht mehr in den Saal passten direkt für eine spätere Vorstellung einladen zu können.
Es interessieren sich ganz offensichtlich doch recht viele für das, was sich im Ruhrgebiet bewegt und was in den großen Erzählungen vom Strukturwandel nie vorkommt. Die oft eben auch nicht sichtbare „kritische Masse“ – vielleicht ist sie ja höher als gedacht. „Ich könnte den Film nochmal und nochmal und nochmal sehen, so spannend find ich das alles“, schwärmte eine Frau im Publikum, die mit ihrem Projekt selbst auch auf der Leinwand zu sehen war. „Ich wohne seit 58 Jahren in Dortmund und hab früher auch in der Nordstadt gewohnt, jetzt seh ich sie nochmal mit anderen Augen,“ zeigte sich ein anderer beeindruckt von den überraschend anderen Einblicken des Films. „Auf diesen Film haben wir schon lange gewartet“, jubelte Roland Günter, Pionier im Kampf um den Erhalt von Arbeitersiedlungen und engagierter Dokumentar des Ruhrgebiets nach dem Film in Duisburg.
Seitens der porträtierten Initiativen und Projekte, von denen in allen Städten Aktive bei den Vorführungen dabei waren, wurde vielfach positiv hervorgehoben, dass sie in dem Film nicht nur gesehen sondern in einem größeren Kontext sichtbar werden. „Uns war es wichtig Teil davon zu sein“, sagte zum Beispiel eine Aktivistin von »DU it yourself« in Duisburg. Gerade in Duisburg wird solchen Initiativen von offizieller Seite immer wieder mit Ignoranz und Ablehnung begegnet. Der Film zeigt: Sie sind nicht allein.
Mit den Filmvorführungen und anschließenden Gesprächen ist aber schon jetzt noch weit mehr gelungen: Einen Raum dafür zu schaffen sich auszutauschen, sich kennenzulernen, vielleicht sogar Neues anzustoßen. Damit wird eine doppelte Sichtbarkeit geschaffen und Initiativen und Aktive können miteinander in Kontakt gebracht werden, die vorher oft noch nicht einmal voneinander wussten. Andere können sich ermutigt fühlen nun auch etwas zu starten, weil sie sehen, dass es ja geht. „Zu zeigen, dass man auch mal einfach machen kann“, wie Martin Krämer aus der Filmgruppe das Anliegen des Films beschreibt, ist deutlich gelungen, wie die Reaktionen bei den Filmgesprächen zeigen. So äußerte jemand aus dem Publikum in Duisburg, er habe sich immer so „singulär“ gefühlt: „Deswegen ist es für mich so wertvoll den Film gesehen zu haben. Man sagt hier immer, man kann nichts machen. Jeder Einzelne kann was machen.“ Filmemacher Matthias Coers stellt fest, dass viele Initiativen sich selbst oft als klein, ihre Bedeutung nur für ihr direktes und überschaubares Umfeld sehen und ihre Wirksamkeit und Ausstrahlung dabei unterschätzen. Der Film kann hier auch für sie nochmal empowernd wirken, weil sie positives Feedback bekommen – auch und gerade durch die direkte Begegnung, die er ermöglicht.
Es sind Momente wie bei der Filmvorführung im »Lokal Harmonie« in Duisburg, wo fast rührend spürbar wurde, wie der Film das Gezeigte multipliziert: Vor uns flimmerten die Bilder eines lebendigen, einladenden Künstler*innencafés in Duisburg Ruhrort. Hinter der Theke erzählt da einer der Betreiber, Rüdiger, wie aus dem einstigen Leerstand dieser künstlerische, politische, soziale Raum wurde, dass er auch ein Ort kritischer Diskussionen über Stadtentwicklung sei, und vor allem ein Begegnungsort. Und wir begegneten uns alle an diesem Ort, um diesen Film zu schauen: Fast 20 Menschen aus der Siedlung Zinkhüttenplatz, deren Kampf um den Erhalt der Siedlung im Film porträtiert wird, die Aktivist*innen von »DU it yourself«, Rüdiger hinter der Theke und all die anderen Interessierten. Und wir diskutierten. Über das, was gerade so passiert in Duisburg und im Ruhrgebiet. Nebenbei taten sich sogar auch neue Allianzen auf für die Forderung, die Alte Feuerwache in Duisburg für die Nutzung als soziokulturelles Zentrum herzugeben.
Ob sich alle gut aufgehoben fühlen in dem Film bei aller Unterschiedlichkeit? „Ja, wir fühlen uns da gut aufgehoben“ antwortete einer der Zinkhüttenplatz-Bewohner. Während ihres langen Kampfes hätten sie so viel Solidarität erfahren, sagte eine Andere, dass ihnen selbst auch klar geworden ist, dass man „über den Tellerrand hinausschauen muss und nicht erst etwas tun sollte, wenn es einen selbst betrifft“. „Vielleicht werden so Gemeinsamkeiten erst durch den Film sichtbar“, stellte Stefan Schroer fest, der den Abend in Duisburg moderierte. „Wir müssen im Ruhrgebiet schauen, dass wir unsere Interessen organisieren. Der Film hat da auch nochmal Mut gemacht.“
Veröffentlicht am 3.4.2017 bei Realize Ruhrgebiet:
http://www.realize-ruhrgebiet.de/2017/04/03/kollektives-filmschauen-und-teil-davon-werden/