Interview und Tagestipp zur Bremer Premiere
„Bremen ist gehemmt, hat aber Chancen“
Wovon handelt der Film „Das Gegenteil von Grau“?
Matthias Coers: Von Transition-Town-Initiativen und Stadtkämpfen am Beispiel des Ruhrgebiets. Der Film beinhaltet vier Stränge, die anhand von Initiativen porträtiert werden. Die hier gezeigten vier Entwicklungen sind europaweit zu beobachten und teils auch untereinander vernetzt. Zum einen gibt es die Freiraumbewegung, in der es darum geht, kooperative Orte zur Begegnung im Stadtraum zu schaffen. Daneben geht es um das Wohnen in Städten und darum, wie Mieter ihre Wohnungen gegen kapitalmächtige Investoren verteidigen. Dann geht es noch um solidarische Ansätze in der Stadtentwicklung, bei denen sich Nachbarschaften zusammentun, um neue Form des Zusammenlebens auszuloten. Und zu guter Letzt geht es noch um Geflüchtetenprojekte.
Was ist Ihre persönliche Motivation, sich mit diesen Themen zu beschäftigen?
Mein persönliches Ansinnen ist es, den Blick auf die Themen des Wandels der Strukturen in der Arbeitswelt und alles damit Zusammenhängende zu schärfen. Damit meine ich den radikalen Wandel, der sich weg von der sozialen Marktwirtschaft hin zu einer neoliberalen, marktkonformen und geradezu marktunterwürfigen Form des Wirtschaftens aufgetan hat.
Was meinen Sie damit genau?
Der Staat zieht sich vielerorts zurück und überlässt dem privaten Kapital das Feld. Wir haben weniger öffentliche Güter. So müssen nun Initiativen von den Bürgern in diese entstehenden Lücken hineingehen. Der Ruhrpott ist solch ein Ort, an dem die Verheerung des Niedergangs und nun ablaufendem Strukturwandels viele Existenzen beeinflusst. Wir brauchen neue Formen des Miteinander-Arbeitens und Lebens.
Im Film geht es auch um die Besetzung von leer stehenden Gebäuden. Die Polizei greift hier durch. Wen verteidigt die Polizei dabei? Die Bürger und ihre Rechte oder das Kapital?
Das ist eine ganz spannende Frage. Die Polizei macht sich ihre Gesetze und Vorschriften nicht, sie setzt nur das um, was die Gesetze hergeben. So kommt es leider oft zur blanken Konfrontation zwischen Polizei und bürgerlichen Initiativen. Daneben gibt es aber auch Maßnahmen der ordnungsrechtlichen Ebene, die den Initiativen das Leben schwer machen. Oft werden so Akte des zivilen Ungehorsams, wie die Besetzung eines seit Langem leer stehenden Gebäudes, unterminiert. Und das sogar, wenn eigentlich eine Duldung vorliegt. Das ist schade, denn solche Erfahrungen des direkten gemeinsamen Schaffens eines Ortes im öffentlichen Raum könnten viel für die Demokratie tun.
Wie meinen Sie das?
Viele Bürger machen heutzutage eine dauerhafte Ohnmachtserfahrung. Die Politikverdrossenheit treibt hier grausame Stilblüten nach rechts, und ich bin überzeugt, dass die Teilnahme an solchen Projekten vielen Bürgern die wichtige Erfahrung unserer demokratischen Grundwerte ermöglichen würde. Es eröffnen sich ganz neue Ebenen für alle Beteiligten, an die man vorher nicht gedacht hat. Dies könnte eine wichtige Gegenerfahrung sein, die Solidarität und das gemeinsame Erreichen schaffen.
Herrscht in Deutschland also das Diktat von Bürokratie und Kapital?
Das kann man so sagen, ja. Aber es gibt da auch ganz unterschiedliche Ausprägungen. In manchen Städten wird alles verhindert, und manche Städte sind deutlich offener. Bremen ist hier ein gutes Beispiel. Ich bin kein Spezialist für Bremen, aber nach dem, was ich höre, herrscht in Bremen eine eher offene, freie und den Bürgern entgegenkommende Mentalität. Bremen ist gehemmt, hat aber gute Chancen. Soziale Armut, Strukturwandel und leere Kassen auf der einen Seite und viele Ideen und Mut auf der anderen Seite. Diese Widersprüche drücken Bremen derzeit an die Wand, aber das Potenzial zu Großem ist da.
Sollte Deutschland Zugriff auf Privateigentum im öffentlichen Raum bekommen, wie zum Beispiel ungenutzte und leer stehende Gebäude?
Ja, aber das sollte verhandelt werden. Doch generell natürlich, ja. Wenn da etwas leer steht, sollte eine Kommune unter gewissen Bedingungen das Recht erhalten, dies zwischenzeitlich oder durch Kauf für eine Zwischennutzung zu bewirtschaften oder ausgewählten Bürgergruppen zur Verfügung zu stellen. Dies trifft vor allem auf Regionen zu, in denen sehr viel leer steht und die Nachfrage auf dem Markt auch schlicht nicht da ist, wie es in vielen ländlichen Regionen Deutschlands mitunter der Fall ist.
Wenn die neue Regierung Ihnen einen Wunsch erfüllen würde. Welchen würden Sie äußern?
Einen radikalen Wechsel bei der Wohnungspolitik. Die aktuelle Wohnungsbaupolitik ist vollkommen sinnlos. Hier wird Geld direkt zu den Investoren umverteilt, also von unten nach oben. Wir brauchen wieder einen starken, nachhaltigen kommunalen Wohnungsbau. Die öffentliche Hand muss bauen, wie es auch bei Schulen, Straßen und anderem Grundsätzlichem der Fall ist. Nur so könnten wir auf Dauer bezahlbare Mieten sicherstellen, und das ist wichtig. Wenn die Menschen sich Sorgen machen, dass sie ihre Miete nicht mehr zahlen zu können, ziehen sie sich aus demokratischen Prozessen zurück. Das sind soziale Verwerfungen, die sind komplett unnötig in einem Land wie Deutschland.
Das Gespräch führte Gerald Weßel.
Weser-Kurier am 15.3. und Tagestipp am 16.03.2018
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