Bericht, Interview, Kommentar
Mutmacher auf der Leinwand
»Das Gegenteil von Grau« – ein neuer Dokumentarfilm von Regisseur Matthias Coers
Es ist der sensiblen Kameraführung zu verdanken, dass beim Anschauen von »Das Gegenteil von Grau« jede noch so kleine Stimmungsschwankung der Protagonisten im Film auf den Zuschauer unmittelbar übergeht. Einen Kommentar aus dem Off gibt es nicht. Der Regisseur überlässt es den Zuschauern, wie sie das Geschehen auf der Leinwand bewerten. »Ich möchte keine eigene Bewertung vornehmen, weil die Menschen und ihre Aussagen für sich sprechen«, kommentiert Matthias Coers seine Entscheidung. Durch Gesten, kleine Bemerkungen und sichtbare Gefühlsregungen wird man hineingenommen in den Alltag von Menschen, deren Lebensverhältnisse sich gravierend verändert haben. Wohnen als Menschenrecht bekommt mit diesem neuen Film von Matthias Coers eine ganz individuelle Farbe: im Ruhrgebiet, in Nordrhein-Westfalen, in Deutschland. Und er macht Mut, sich widrigen Verhältnissen zu widersetzen.
Mit dem Dokumentarfilm »Das Gegenteil von Grau« präsentiert der Berliner Filmemacher einen zweiten Kinofilm, der sich nach seinem Erstling »Mietrebellen« mit dem Thema Wohnen, Verdrängung und Lebensverhältnisse von finanziell schlecht gestellten Einwohnern beschäftigt. Entstanden ist er in Zusammenarbeit mit dem Netzwerk Recht auf Stadt – Ruhr, und er zeigt am Beispiel verschiedener Initiativen im Ruhrgebiet, wie solidarisch miteinander gearbeitet und erfolgreich Widerstand geleistet werden kann gegen verantwortungslose Politik, Miethaie, zweifelhafte Investoren und gegen die Verwahrlosung von Wohnvierteln.
Ein Turm für alle
So hat in Oberhausen eine Bürgerinitiative den Bahnhofsturm gemietet, ihn umgebaut und daraus ein künstlerisches Begegnungszentrum gemacht. Er ist ein Anziehungspunkt für die ganze Stadt und ein Ort der Begegnung mit Geflüchteten. Wieder andere haben sich aus Protest und als Alternative zu den bestehenden Wohnverhältnissen entschlossen, in einer Wagenburg zu leben. Jetzt müssen sie Verdrängung befürchten und organisieren sich dagegen.
Der Film lebt von Protesten, vom Einblick in schwierige finanzielle und Wohnverhältnisse, aber auch von der ansteckenden Lebenslust, wenn gemeinsame Aktionen Erfolgserlebnisse brachten. »Das Gegenteil von Grau« zeigt, wie stark soziale Bündnisse zum Vorteil der Betroffenen sein können. Nicht mit Frust, sondern mit Lust auf Veränderung kämpfen sich die Leute vor Ort aus scheinbar ausweglosen Situationen heraus.
»Das Gegenteil von Grau« beschönigt nicht. Der Film ist ein Spiegelbild der komplizierten Lebensverhältnisse im Ruhrgebiet, einem ehemaligen industriellen Vorzeigestandort. Wo einst hart gearbeitet und gutes Geld verdient wurde, drohen seit Jahren Vereinsamung, Ödnis, aber auch Profitgier von Investoren. Das Menschenrecht auf Wohnen gerät in die Schieflage. Aber da gibt es mutige Frauen und Männer, Familien, Bürgerinitiativen und viele Helferinnen und Helfer, die aufstehen gegen die aufkommende Trostlosigkeit und schwindende Hoffnungen.
Der Film lief mit erstaunlich großer Resonanz im Ruhrgebiet und in Berlin, aber auch in Hamburg, München und anderen Städten Deutschlands. Aufführungen in Griechenland, den Niederlanden, in Spanien und Lateinamerika werden folgen. Die Probleme sind überall ähnlich, und deshalb wollen viele die Beispiele aus dem Ruhrgebiet sehen, wie die Menschen sich mit Initiativen und gelebter Solidarität gegen die Macht des Geldes und die Versäumnisse der Politik wehren.
Frank Schwarz
Wie aus Grau Buntes wird
Aus Ohnmacht wurde ein Miteinander. Im Gespräch Matthias Coers
Auch in Ihrem zweiten Dokumentarfilm geht es wieder um das Thema Wohnen. Wie kam es zu der Idee für den neuen Film?
Matthias Coers: Bei Aufführungen von »Mietrebellen« im Ruhrgebiet habe ich Mitstreiter des Netzwerks Recht auf Stadt – Ruhr getroffen, die auch für ihre Region an einem Film zum Thema interessiert waren. Wir haben uns zusammengetan, denn mich interessiert ohnehin viel mehr, mit anderen zusammenzuarbeiten, anstatt über andere zu arbeiten. Im Film geht es ums Wohnen, um die Angst vor Verdrängung und um das soziale Miteinander in sogenannten abgehängten Regionen.
Die Arbeitslosigkeit im Ruhrgebiet ist hoch, die Resignation auch. Wie gehen Sie damit im Film um?
Die Menschen stemmen sich gegen dieses Gefühl von Wertlosigkeit, schaffen das aber nicht allein. Insofern sind viele Projekte, die im Film vorgestellt werden, eine Antwort auf das Ohnmachtsgefühl, dass sich nichts verändern ließe. Wenn durch gemeinsame Anstrengung etwas neu entsteht und man sich sozial engagieren kann, wertet das den Alltag vieler Menschen auf. Man trifft sich, redet miteinander und hilft sich. Da machen Akademiker genauso mit wie Arbeiterinnen und Arbeiter oder Migranten. Darüber hinaus sorgen solche Projekte für mehr Attraktivität im städtischen Raum.
Der Arbeitsalltag im Ruhrgebiet ist über Jahrzehnte von Stahl und Kohle geprägt gewesen. Spielt Arbeitsumbruch im Film eine Rolle?
Es beschäftigt die Menschen enorm, wie und ob sie anders arbeiten und leben können. Aber auch die Wohnungsfrage bleibt ein wichtiges Thema. Während die ältere Generation die klassische Schwerindustrie kennt, suchen sich die Jüngeren neue Wege, um in ihrer Region überhaupt leben zu können. Es geht darum, Möglichkeiten zu finden und zu schaffen, die eigenen Talente zu entwickeln.
Wie fielen die Reaktionen der Zuschauer bei der Filmpremiere und den ersten Vorstellungen aus?
Bei den Aufführungen im Ruhrgebiet gab es wirkliche Begeisterung. Aber auch internationale Reaktionen haben mir gezeigt, wie wichtig so ein Blick auf alternative Ansätze ist, die ansonsten in den Medien nur randständig behandelt werden. Insofern ist dieser Film ein Mutmacher für alle, die sich gesellschaftskritisch engagieren und sich für eine alternative Stadtpolitik einsetzen. Das Publikum reicht von normal interessierten bis hin zu engagierten Menschen, aber auch Wissenschaftler und Lokalpolitiker zeigen Interesse.
… und die Reaktionen im Ruhrgebiet?
Die Leute fühlen sich ernst genommen. Bei der Filmpremiere in Duisburg stand ein älterer Herr aus dem Publikum auf und sagte: »Das ist der Film, auf den wir hier 20 Jahre gewartet haben.« Er bezog sich auf die Erfahrungen nach dem Strukturwandel und den Bedeutungsverlust einer ganzen Region. Aufgefangen und verändert werden kann das nur durch das gemeinsame Engagement derjenigen, die dort leben. Etliche Menschen, die in unterschiedlichen Projekten arbeiten, haben sich sehr für den Film bedankt und sich in ihrem Engagement bestätigt gefühlt.
Das Gespräch führte Frank Schwarz
Für bunte Städte!
Damit Kieze lebendig bleiben, müssen Wohnungen bezahlbar werden.
Ein beliebtes Märchen der Immobilienlobby geht so: Bezahlbare Mieten führen zu abgehängten und verwahrlosten Stadtteilen ohne Lebensqualität. Das Zauberwort in dieser Geschichte heißt »Aufwertung«. Die soll Investoren anlocken, damit einkommensstärkere Bewohnerinnen und Bewohner in das Quartier drängen. Ende gut, alles gut? Nein. Denn das Ergebnis sind steigende Mieten und Verdrängung.
»Das Gegenteil von Grau« macht dieser Legende den Garaus. Der Film zeigt eindrücklich: Das Ruhr- gebiet, Paradebeispiel für das Märchen von Abwärtsspirale und Aufwertung, ist eben nicht grau und öde. Im Gegenteil: Bezahlbare Mieten und Freiflächen in lebendigen Nachbarschaften sind der Boden, auf dem Kreativität, Selbstorganisation und nachbarschaftliche Solidarität wachsen.
Linker Wohnungs- und Mietenpolitik geht es darum, Wohnungen bezahlbar und Stadtteile lebendig und lebenswert zu machen. Deswegen setzen wir uns ein für ein soziales Mietrecht mit einer echten Mietpreisbremse, für einen Neustart im sozialen, gemeinnützigen Wohnungsbau, für Mitbestimmung und Selbstorganisation in der Stadtentwicklung. Denn grau, das sind die Stadtteile, in denen es keine Rentnerinnen und Rentner oder Änderungsschneidereien mehr gibt, sondern nur noch Glitzerpaläste und Starbucks- Filialen.
Caren Lay, stellvertretende Vorsitzende der Fraktion
clara. | Das Magazin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag Nr. 45, 2017/2018, Seiten 26/27
https://www.linksfraktion.de/publikationen/