Wüst und bunt

Im satten Rot prangt die Schrift über dem Eingang des Roxy-Kinos in der Münsterstraße. Drinnen beinahe 300 Personen im Saal, das Licht geht an und die Diskussion zum eben gesehenen Films beginnt.

Es ist die Premiere des Ruhrgebietsfilms „Das Gegenteil von Grau“ in Anwesenheit des Filmteams, zu dem ich als Regisseur und Kameramann gehöre. Zwei Jahre wurde gearbeitet, um Initiativen vorzustellen, die sich zwischen Freiraumund Wohnkämpfen, in nachbarschaftlichen Gärten und der „Refugees’-Kitchen“-Aktion engagieren. Hat man als Filmteam aus Kreuzberg die Strecke von einigen Hundert Kilometern Autobahn überwunden und steht am trubeligen Tor zum Ruhrgebiet, dem Borsigplatz, ist das ein wohlig-urbanes Gefühl. Aber es geht ja darum, auch die Widersprüchlichkeit darzustellen. Verlassene Hallen und Bahngebäude im Hafen, leere Gartenbaumärkte und Kirchen, die weite Parklandschaft Phoenix-West auf der einen Seite. Andererseits die vielgestaltigen Orte in Selbstverwaltung, die insbesondere Dortmund zu bieten hat – eine Fahrrad-Reparaturund Kochwerkstatt, stadtteilbezogene Buchläden, Kulturcafés und Lokale und die auf einem Lernbauernhof angesiedelte Solidarische Landwirtschaft. Was man von der Dortmunder Nordstadt hört, ist das eine. Was man sieht, wenn man genauer hinschaut, sind aber Interesse und Talent, den städtischen Alltag füreinander bereichernd zu gestalten. Das Prinzip ist Do It Yourself, auf deutsch vielleicht Selbsttätigkeit, aber nicht nur für die eigenen Bedürfnisse, sondern auch bewusst bezogen auf die konkrete Nachbarschaft. Beispielhafte Orte, an denen Menschen ihre Fähigkeiten entwickeln wollen, um gemeinsam und undogmatisch in einem Prozess des Miteinanders tätig zu sein. Die Lust, auf das Wohlwollen von Stadtverwaltung und Behörden zu warten, ist begrenzt. Denn die Probleme aus dem Weg zu schaffen, die dem Recht auf eine Stadt für alle im Weg stehen, dulden keinen Aufschub. Hier soll der Film einen direkten Beitrag leisten. Für mein Cineastenherz ist allerdings der Aufstieg mit Freiraumaktivisten auf den Deusenberg das eindrücklichste Moment der Dortmunder Aufnahmen. In der kühlen Luft der Dämmerung kamen in mir die Gefühle auf, die ich bei der ersten Begegnung mit Werner Herzogs großartigem Andenfilm „Aguirre, der Zorn Gottes“ hatte: Egal welche Widrigkeiten da sind, es muss einen Weg geben.

von Matthias Coers

Die Kolumne und der Filmtipp Kino-Geschichten ist die Kolumne der Betreiber des Roxy-Kinos. Als Gastautor schreibt heute der Filmemacher Matthias Coers, Jahrgang 1969. Coers arbeitet als Filmemacher in Berlin und produziert Dokumentationen, darunter der in über 20 Ländern gezeigte Film „Mietrebellen“. Der neue Film ist eine Ko-Produktion mit dem Netzwerk Recht auf Stadt Ruhr. Coers führte Regie und die Kamera. Filmtipp: „Das Gegenteil von Grau“, Doku über Initiativen, die sich kreativ und praktisch für eine Stadt für alle einsetzen. Zu sehen: 4. bis 10. Mai (Donnerstag bis Mittwoch), täglich 21 Uhr, im Roxy-Kino, Münsterstraße 95. www.roxydortmund.de

Veröffentlicht in Ruhrnachrichten am 3.5.2017, S. 20

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